Neue Sorten Züchten

Früher oder später werden viele Sammler/innen von dem Wunsch erfasst, Aurikel nicht nur selbst auszusäen und so vielleicht durch Zufall eine besonders schöne oder außergewöhnliche neue Sorte zu entdecken, sondern sogar gezielt eine solche zu züchten. Im Prinzip sollte solch ein Kreuzen von zwei passenden Pflanzen ja gar nicht so schwer sein. Staubblätter bzw. Griffel/Stempel sind zumindest bei den ungefüllten Aurikel-Blüten kaum zu übersehen und die Mendel‘schen Vererbungsgesetze sind vielen sicher noch aus dem Biologie-Unterricht bekannt. Aber dann wird’s doch ein bisschen kniffelig. Denn wer nun bereits eine bestimmte Wunsch-Vorstellung von der künftigen Sorte z.B. im Hinblick auf Typ, Farbe oder Form der Blüte im Sinn hat, möchte sicher die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass unter den zahlreichen Sämlingen auch möglichst viele dabei sind, die dieser Vorstellung nahekommen.

 

Leider ist bislang nur sehr wenig über die genetische Ausprägung der verschiedenen Merkmale der Aurikel bekannt. Denn nur wenige Sammler bzw. Züchter haben tatsächlich so viele Versuche bzw. Erfahrungen gesammelt, dass sie einigermaßen gesicherte Aussagen über die Vererbung der einzelnen Merkmale treffen konnten bzw. können und noch weniger davon sind offenbar bereit, das gewonnen Wissen mit anderen zu teilen.

 

Ich finde dagegen, dass jeder, der den ernsthaften Wunsch hegt, neue Aurikel-Sorten zu züchten, Unterstützung erfahren sollte und möchte alle Interessierten hierzu ermutigen. Daher trage ich die Ergebnisse meiner bisherigen Recherchen sowie meiner eigenen Versuche hier zusammen. Über eigene Erfahrungsberichte anderer Aurikelfreunde - seien sie nun bestätigend, widerlegend oder auch vollkommen neu – bin ich und sicher auch alle anderen Leser/innen ganz besonders dankbar.

 

 

Wann und Wie

 

Der beste Zeitpunkt .. für die Bestäubung ist natürlich dann, wenn der Blütenstempel der Mutter- bzw. Samenpflanze aufnahmefähig für den frischen Fremd-Pollen ist, aber möglichst noch kein anderer oder Eigen-Pollen darauf geplumpst ist. Das ist früher der Fall, als viele vielleicht denken. Der Stempel besitzt oft schon vor dem vollständigen Öffnen der Blüte seine höchste Konzeptionsfähigkeit. Optisch erkennbar ist diese dadurch, dass die Narbe klebrig wirkt und der Pollen gut daran haften bleibt. Auch die Pollen besitzen ihre beste Qualität kurz nach dem Öffnen der Blüte, unmittelbar nachdem sich die Staublätter aufgefaltet haben und der Pollenstaub äußerlich goldgelb sichtbar wird.

 

Während pinäugige Blüten meist ohne eine Beschädigung der Blüte bestäubt werden können (da der Griffel ja mehr oder weniger weit aus der Blüte herausragt), ist das bei thrumäugigen Blüten leider nicht der Fall. Hier wird es meistens erforderlich, die Blütenblätter der Mutterblüte zu entfernen, um den Stempel freizulegen (und auch um zu verhindern, dass eigener Pollen dieser Blüte herunterpurzelt und eine Selbstbestäubung erfolgt). Manche Züchter zupfen hierzu die Blütenblätter vorsichtig aus. Ich selbst schneide diese meistens insgesamt knapp unterhalb des Übergangs zur Kelchröhre ab. Zugegebenermaßen beides jeweils drastische Maßnahmen, aber leider gibt es keine Alternative, wenn man neue thrumäugige Aurikel züchten möchte. Der Pollen der Pollen-Pflanze wird sodann mit einem feinen Pinsel auf die Narbe aufgebracht. Manche schneiden auch ein oder mehrere Staubblätter ab und betupfen die Narbe damit direkt. Hiernach heißt es Daumen halten und die Pflanze, insbesondere wenn sie noch weitere intakte Blüten besitzt, noch einige Tage vor einer zufälligen Bestäubung durch vorwitzige Bienen und andere Insekten abzuschirmen. Ach und .. natürlich: Das Kennzeichnen der handbestäubten Blüten bitte nicht vergessen. Ich verwende dazu bunten Zwirn, den ich in einer kleinen Schlaufe um den jeweiligen Einzel-Blütenstiel binde. In meiner Aurikel-Kladde halte ich dann das Datum und natürlich die Namen der Elternpflanzen (wobei die Mutter/Samen-Pflanze wie bei allen Kreuzungen immer zuerst genannt wird) fest.

 

 

Genetik

Thrum-/Pinäugigkeit .. Hier gilt als relativ sicher erforscht, dass das thrum-Allel dominant, das pin-Allel rezessiv ist, d.h. phänotypisch genügt es, wenn zumindest ein thrum-Allel vorhanden ist, da dieses das pin-Allel überlagert. Dennoch gilt Pinäugigkeit in der Elterngeneration (d.h. eine der Elternpflanzen war pinäugig, also reinerbig „pin“) bei vielen Züchtern als Makel, weil dann alle Nachkommen der F1-Generation mischerbig (1 thrum-Allel + 1 pin-Allel) sind und dies die Gefahr erhöht, dass in F2-Generationen wieder pinäugige Pflanzen auftreten. Wer dennoch mit pinäugigen Elternpflanzen züchtet, sollte dies der Fairness halber dokumentieren, um etwaige Folgezüchter vor Überraschungen zu bewahren.

 

Gefüllte ..  Auch im Hinblick auf das Gefüllten-Allel steht sicher fest, dass es rezessiv vererbt wird. Folglich erhält man nur dann eine gefüllte F1-Generation, wenn man zwei gefüllte Pflanzen kreuzt. Ist dagegen eine der Elternpflanzen ungefüllt, ist zu erwarten, das alle Sämlinge aus dieser Kreuzung mischerbig (1 ungefüllt-Allel + 1 gefüllt-Allel) sein werden, aber kein einziger Sämling gefüllte Blüten hervorbringen wird. Etwas anderes gilt freilich dann, wenn die ungefüllte Elternpflanze selbst bereits mischerbig (ungefüllt + gefüllt) ist. In diesem Fall sollten dann etwa ¼ der F1-Sämlinge bereits wieder Gefüllte sein.

 

Nun ist es aber auch schon vorbei mit den „gesicherten Erkenntnissen“ (zumindest, soweit ich sie bislang ausfindig machen konnte). Über die folgenden Merkmale habe ich nur sehr wenige Informationen gefunden bzw. zum Teil widersprechen sich diese auch:

Streifen auf den Blüten .. vererben sich ebenfalls rezessiv (Quelle: Sir Rowland H. Biffen, The Auricula – The Story of a Florists Flower, vor 1949), d.h. es bedarf regelmäßig zwei gestreiften Elternpflanzen, wenn man auch gestreifte Sämlinge erhalten möchte. Ob Sir Biffen insofern nur die Streifen meinte, die durch Farina gebildet werden, oder auch solche, die auf einer unterschiedlichen Färbung der Blütenblätter basieren, kann ich leider (noch) nicht sagen.

 

Jedenfalls für die Farina-Streifen kann ich seine Aussage nach meinen eigenen ersten Kreuzungsversuchen jedoch bestätigen. Meine ursprüngliche Idee war, dunkle Selfs und Borders mit Gestreiften zu kreuzen, um die Streifen quasi zu einzelne Farina-Spenkeln zu „verdünnen“ und so neue gepunktete Sorten zu erhalten. Das hat leider nicht geklappt. Alle hieraus gewonnenen Sämlinge (die bislang schon geblüht haben) sind einfarbig und zeigen keine Spur von Farina auf den Blütenblättern (sollten aber mischerbig gestreift sein). Ich werde daher versuchen, einige besonders vitale Sämlinge erneut mit Stripes zu kreuzen, um so doch noch in der 2. Generation einige Streifen herauszulocken.

 

Die Bemehlung auf den Blättern .. soll sich nach Biffens (a.a.O.) Beobachtungen rezessiv vererben. Obwohl ich insofern noch keine gesicherten, eigenen Erkenntnisse habe, bin ich insofern im Zweifel. Denn seine Beobachtung, die offenbar auf lediglich einer Mehrfach-Kreuzung zweier bestimmter Pflanzen basierte, würde m.E. bedeuten, dass es lediglich (stark) bemehlte und gar nicht bemehlte Pflanzen geben dürfte. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt zwischen diesen beiden Extremen mannigfache Abstufungen im Hinblick auf die Menge und Form der Blattbemehlung, was für mich eher für intermediäre (also phänotypisch quasi mischbare) Allele oder aber sogar eine Mehrzahl von für dieses Merkmal verantwortlichen Genen spricht.

 

Auf der anderen Seite gibt auch Chris Wood in seinem Artikel im National Auricula & Primula Society (Northern) Yearbook 2011  an, dass grüngerandete Show-Aurikel quasi unsichtbar „grey breeding“ in sich tragen können, was m.E. nichts anderes bedeutet, als dass auch er das „grey“ (also die Bemehlung) für ein rezessives Allel hält. Dies stützt wiederum Biffens Beobachtung, da die Intensität der Bemehlung der gerandeten Show-Aurikel- und Fancy-Blüten ja in nahezu allen Fällen ihrer jeweiligen Blattbemehlung entspricht.

 

Die Farbe der Blüten .. wird nach Biffen intermediär vererbt, d.h. sie soll quasi frei mischbar sein. Auch insofern verweist Biffen (a.a.O.) wieder auf sein (einziges ?) Test-Paar, eine gelbe und eine fast schwarze Aurikel, deren F1-Nachkommen wohl alle rot-braune Blüten hatten. Berichte von anderen Züchtern sprechen jedoch dafür, dass es auch hier nicht ganz so einfach ist. Einige scheinen sogar der Ansicht zu sein, dass die Ursprungsfarbe Gelb praktisch wie eine „Leinwand“ verwendbar sei, auf die man jede andere Farbe legen könne (was wiederum Biffen widerlegen würde, denn dann wären ja alle F1-Sämlinge fast schwarz gewesen). Beispielhaft sei außerdem der Bericht von Allan Guest im National Auricula & Primula Society (Northern) Yearbook 2011 genannt. Hier berichtet er von seiner Kreuzung der hellgelben Self „Moonglow“ mit der blassblauen Self „Denim“ und seiner leider unerfüllt geblieben Hoffnung, eine weitere blassblaue Self zu züchten. Denn die Blüten der Nachkommen rangierten von Mittelblau über Purpur, Lila-Pink und Lavendel-Tönen bis hin zu Pink/Rosa-Tönen alà „Chanel“ und „Lavenham“. Biffens Ansicht zugrundegelegt hätten dagegen zumindest einige Hellgrün, nach der Leinwand-Ansicht sogar viele Hellbau werden müssen.

 

Es bleibt also spannend, insofern mehr herauszufinden.

 

Die Sache mit den Regeln ..

 

Allgemein .. wird im Hinblick auf die Kreuzungen von Aurikeln vertreten, dass diese grundsätzlich nur innerhalb der gleichen Typen-Gruppe bzw. -Untergruppe, also z.B. nur Self x Self, grüngerandete Show x grüngerandete Show oder goldäugige Alpine x goldäugige Alpine erfolgen soll. Bis heute scheinen die meisten Züchter also kein Interesse  daran zu haben, dass weitere neue Typen als die bereits bekannten und bewährten entstehen. Wenn man insofern bedenkt, wie lange es dauerte, dass farbige Gerandete (Fancies) akzeptiert und auf Shows zugelassen wurden, Gestreifte noch immer auf einigen Shows als „anomalous“ ausgestellt werden oder manche bis heute die Nase über die sogenannten Clouded Fancies rümpfen, könnte der eine oder andere Schelm tatsächlich auf die Idee kommen, dass Aurikel-Sammler/innen ein wenig altmodisch und alles andere als innovativ sind ;) .. Aber das stimmt natürlich nicht! Es gab und gibt durchaus auch namhafte Züchter (z. B. Peter Lister, Tim Coop oder Dr. David Mellor (Quelle: National Auricula & Primula Society (Northern) Yearbook 2001 und 2011)), die sogenannte „mixed marriages“, also typenübergreifende Kreuzungen befürworten und die Aurikelwelt auf diese Weise um ganz tolle neue Exemplare bereichert haben und auch weiter bereichern.

 

Wer für seine Züchtung dagegen einen bestimmten Aurikeltyp, z.B. eine goldäuige Alpine vor Augen hat, der sieht sicher keinen Sinn darin, diese mit dem Einkreuzen von Farina (diese hat bei Alpinen ja bekanntlich nichts zu suchen) zu bemehlen oder deren satte, goldgelbe Farbe des Auges durch Einkreuzen z.B. einer helläugigen Alpinen zu „verwässern“. Insofern ist der alte Grundsatz also keineswegs vollkommen überholt.

 

Ich denke daher, dass jede/r Züchter/in durchaus allein entscheiden sollte, ob bzw. wie streng sie/er die vorstehende Regel handhabt .. denn Ausnahmen bestätigen dieselbe ja bekanntlich gerade ;)

 

 

Standards .. meint die Vorgaben und Schönheitsideale, die insbesondere unsere Nachbarn in Großbritannien entwickelt haben und bis heute u.a. auf ihren Shows hochhalten. Dazu gehören Regeln wie z.B. dass eine echte Show-Aurikel niemals spitz zulaufende oder gekerbte, sondern ausschließlich gleichmäßig runde Blütenblätter haben darf, niemals pinäugig (sondern ausschließlich thrumäugig) sein darf und auch immer ein rein weißes und klar abgegrenztes Auge besitzen muss. Sie beurteilen anhand dieser und zahlreicher weiterer Vorgaben, wie perfekt und wertvoll eine Aurikel ist, ob sie es verdient, auf einer Show prämiert oder überhaupt in einer bestimmten Gruppe ausgestellt zu werden. Viele dortige Züchter messen ihre Sämlinge und Eigenzüchtungen daher selbst frühzeitig an jenen hohen Erwartungen, die die späteren Juroren gegebenenfalls einmal an sie stellen werden. Diese herbe Selbstkritik führt auf der einen Seite dazu, dass die schönsten und perfektesten Neuzüchtungen – das muss man neidlos anerkennen – nach wie vor „von der Insel“ kommen. Dass dies das klägliche Ende unzähliger hierbei durchgefallener Sämlinge auf dem Kompost bedeutet, ist leider die andere – traurige - Seite der Medaille.

 

Auch wenn ich selbst kein Fan starrer Regeln bin und nur allzu oft eine Aurikel in ihrer Gesamtheit einfach bezaubernd schön finde, bevor oder obwohl ich vielleicht feststelle, dass sie gar keine Show-Aurikel, sondern „nur“ eine Border ist, so bin ich doch der Ansicht, dass man zumindest gewisse Grund-Standards nicht ganz aus den Augen verlieren sollte. Es geht insofern nicht nur darum, dass wir auch künftig versuchen sollten, die Perfektion, für die die Show-Aurikel bekannt sind, in unseren Neuzüchtungen zu erhalten und weiterzugeben. Es geht m.E. vor allem auch um Ehrlichkeit vor uns selbst und anderen. Es ist wichtig, dass die jeweils existierenden Typen auch weiterhin klare Eigenschaften haben, anhand derer wir sie voneinander unterscheiden können. Und es ist alles andere als eine Schande, eine Garten bzw. Border-Aurikel zu züchten, solange man diese nur ehrlich als solche klassifiziert.

 

aktuelles

SONNENSCHUTZ .. wird nun ganz groß geschrieben! Die Sonne erreicht nun bald ihren höchsten Stand und kann neben dem Hitzestress, den sie für die Aurikel verursacht, auch ganz schnell richtigen Sonnenbrand auf den Blättern hervorrufen. Ein luftiges Plätzchen unter einem schattigen Baum mit ausladendem Blätterdach oder einem möglichst nach Norden gewandten Vordach ist daher mehr als Willkommen. Wer über beides nicht verfügt, kann mit Schatten- oder Tarnnetzen für ein wenig Abschirmung sorgen. 

Zurückhaltung ist trotz oder gerade wegen der sommerlichen Temperaturen beim Gießen geboten. Auch wenn insbesondere die Mittagshitze „hängende Ohren“ hervorruft, bitte erst gießen, wenn sich die Pflanzen auch in der Abendkühle nicht von selbst wieder aufrichten bzw. wenn die Erde wirklich trocken ist.

seit 01/2021 (im Aufbau): der Versuch, eine .. (kontinental-)europäische

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